Agnieszka Kowaluk ist in München lebende Polin.
Unter anderem ist sie Journalistin und Schriftstellerin.
Sie schrieb das Buch „Du bist so deutsch! Mein Leben in einem Land, das seine Tugenden nicht mag“.
Zur Zeit unterrichtet sie Deutsch als Fremdsprache, u.a. für Flüchtlinge.
Hier ihre aktuellen Eindrücke:
„Ver-hei-ra-tet“, alle zusammen. „Bist du verheiratet?“. Ja, nein. „Haben Sie Kinder?“ Kichern. Kinder, wenn man nicht verheiratet ist? Unlogisch, die Frage.
In der Pause isst N. seinen selbstgekochten Reis, vorher betet er. Er schiebt die Schachtel in meine Richtung. Nein, danke N., aber es riecht gut! Die Mandarine von A. nehme ich gerne, ich verteile sie weiter. Meine Stimme erholt sich, mein Rachen wird befeuchtet, der Duft im Raum ganz adventlich. Die Mädchen fangen an, auf Tigrina zu singen. Schön klingt das, fröhlich. Man müsste lüften, es riecht nach Essen, aber J. ist so kalt. Sie sitzt die ganze Zeit schon in der Jacke. Sie kennen den kalten deutschen Winter nicht.
Im Unterricht übernimmt H. das Ermahnen, wenn die anderen laut reden, auf Arabisch. Mein Dolmetscher, es hilft wirklich. Für eine Minute.
„Frau!“ Nein, man sagt nicht einfach „Frau“. Man muss noch den Nachnamen hinzufügen. Die Deutschen finden es komisch, wenn man „Frau Agnieszka“ sagt, warum auch immer. Staunen. Wir lachen. Und „wie bitte?“, nicht „was?“. „Was?“ Zusammen: „Ent-schul-di-gung“, was für ein Wort!
Seite 17. Auf T. warten, er hat sein Buch noch nicht gefunden. N. schreibt die Sätze schön, er fährt jeden Buchstaben zwei Mal nach. A. und R. müssen jetzt zum KVR, sie haben am Morgen niedrige Nummern gezogen, sie dürften gleich dran sein. Dann schnell, bis morgen, viel Erfolg! K. fragt, ob sie alle Sätze ergänzen soll. F. hat eine Frage, ich komme.
Feiern Sie Weihnachten? Ja, sie feiern, sie kennen es. A. feiert nicht. Als ich später seine Personalpronomen kontrolliere, sehe ich die kleine Notiz. Er hat sie, grammatikalisch tadellos, am Rand der Übung geschrieben. „Ich feiere nicht. Jeden Tag sterben Menschen in Syrien.“ Wir suchen beide nach Worten, schließlich er: „Ich weine.“ „Ich weine auch“, kann ich nur darauf sagen, und es ist wahr. Und dann, weil mir nichts anderes pädagogisch Wertvolles einfällt, füge ich hinzu: Weihnachten sei Hoffnung. Und ein einziges Mal, ungebeten, wiederhole ich es gleich auf Englisch, damit er mich sicher versteht.
Agnieszka Kowaluk