Agnieszka Kowaluk: Über Bigos, Bindestrich und (alltagskulturellen) Secondhand
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Heute war ich an einem Ort, an dem es mir gut gefallen hat. Er war eigentlich nichts Besonderes. Ein Mittagessen mit dem eigenen, ansonsten viel beschäftigten Kind, vielleicht habe ich mich deswegen so gefreut. Oder waren es die dort servierten Pierogi (nicht Piroggen, nicht „polnische Ravioli” und schon gar nicht Teigtaschen), oder aber die Anfahrt quer durch München im unverhofften Novemberlicht. Etwas hat gepasst, wie wir hier im Bayern sagen.
Es war einer dieser Augenblicke ohne Bindestrich. Kein „deutsch-polnisch“, kein „polnisch-deutsch“. Es war eine polnische Kneipe in München. Mit deutsch sprechenden Mitarbeitern, die akzentfrei „Pierogi“ sagten, als wäre es eine traditionelle bayerische Speise, und die die Gäste auf deutsch begrüßten, bei jedem „Dzień dobry“ aber problemlos auf polnisch umschalteten. Die Gäste unterhielten sich polnisch und deutsch. Polnische Speisen standen mit ihren deutschen Bezeichnungen auf der Speisekarte. Als wäre das ganz normal – in München (wir sind hier nicht in Berlin)!
Das Mittagessen erinnerte mich an die besten Momente bei Lesungen mit polnischen Autoren vor dem Münchner Publikum. Die nicht „deutsch-polnischen“ Momente, sondern diejenigen, wo es nur um die Texte ging, um Themen und um Menschen.
Oder die besten Momente auf deutschen Partys, wo Gäste mit allen möglichen Akzenten sich so gut unterhalten, dass sie nicht einmal (oder erst sehr spät) dazu kommen, sich gegenseitig zu fragen: „Woher kommst du eigentlich?“
Mit Ausdrücken wie: „deutsch-polnisch“, „Deutschtürken“, „Halbfranzosen“ versuchen wir, die nicht eindeutige Zugehörigkeit zu beschreiben oder zu signalisieren: ich bin mehr als nur eins. Aber wir versuchen, mit ihnen auch etwas festzuhalten, das sich vielleicht gar nicht festhalten und in Prozentzahlen ausdrücken lässt. Wie viel Polin an manchen Tagen in mir steckt, hängt oft vom Wetter und von meiner Laune (und vom Essen!) ab. Und wo der Halbfranzose oder Deutschtürke in sich eine Grenze zieht und ob die Hälfte immer 50 Prozent beträgt, mögen nur sie selber wissen. Oder eben auch nicht.
In dem Pierogi-Laden hatte ich heute trotz der bunten Tapete im Łowicki-Stil nicht das Gefühl, an einem Ort zu sein, der einem bestimmten Publikum gewidmet ist. Eher an einem, wo man mit Leidenschaft kocht und sich über die Gäste freut.
Der Soziologe Aladin El Mafaalani bemerkt in seinem Buch Integrationsparadox, dass Migranten in Deutschland zu „alltagskulturellen Secondhandläden“ werden: sie „nehmen ihre Kultur in Konserven mit“. Und dabei – oder deswegen – hätten sie die Deutschen gerne möglichst „deutsch“. Das würde die Orientierung erleichtern. Währenddessen stoßen sie auf eine oftmals verwirrende Vielfalt, Differenzen und Offenheit, die dazu veranlasst, sich umso mehr auf das Eigene zu besinnen.
Zugegeben: Auch ich spiele gelegentlich – auch als Mutter eines deutsch-polnischen Kindes (Ha! Der Bindestrich!) – die Rolle einer Polin. Wer hat nicht für deutsche Freunde schon mal Bigos gekocht, um sie mit „was Polnischem“ zu beeindrucken. Aber ich habe im Laufe der Jahre Gewürze zu verwenden gelernt, die meine Oma gar nicht kannte. Und für manche Freunde schon mal eine extra Portion ohne Speck gekocht, für andere ganz ohne Fleisch und für einige (ist das zu fassen?) – ohne Pilze. Meine Freunde sind sehr unterschiedlich. Und auch sie wissen, wie man mich glücklich füttert, indem man die eine oder andere Zutat weglässt. Wir haben gelernt, uns aufeinander einzulassen und ein Wechselspiel zu spielen. Von wegen Alltags-Secondhand: Ich meine, ganz bescheiden, dass mein Bigos durch seine internationalen und individuellen Abwandlungen ein Weltniveau erreicht hat. Polnisch, aber nicht ganz. Polnisch, aber nicht nur. Passt schon.